Das war´s!

“Bei Nacht im Freien unterwegs zu sein, unter dem schweigenden Himmel, an einem still strömenden Gewässer, das ist stets geheimnisvoll und regt die Gründe der Seele auf.”

H. Hesse

Auch fast 14 Tage später bleibt es unwirklich. Und doch: das Ergebnis ist offiziell  in der Lieblingsdatenbank eingetragen. Ein erstes ganz wunderbares Finisher-Foto vom offiziellen Foto-Team ist ebenfalls veröffentlicht (da ich die DSGVO noch nicht gelesen habe, behalte ich es lieber für mich). Der erste Lauf über 200 km – er ist tatsächlich passiert. Und dann noch auf dieser für mich so geschichtsträchtigen Strecke. Besser kann es ja kaum noch werden.

Auch wenn die Freunde von früher, die noch immer zahlreich am Rand der Strecke wohnen, zum größten Teil nichts davon wussten – ich hab gern mal wieder vorbei geschaut. Freilich ohne ‘Hallo’ zu sagen. Schon die ersten längeren Radtouren als kleines Kind führten mich von zu Hause teils über den Ruhrtalradweg zu den Großeltern. Die drei Seen (Hengstey, Hakort & Kemnader) sind voller Erinnerungen an unzählige Stunden Sport, an unzählige durchfeierte Nächte, an das erste Marathontraining 2007, an unzählige Sonnenuntergänge voller isotonischer Getränke, an die schönen Feuerwerke im Rahmen von ‘Kemnade in Flammen’ und an das eine Mal wo ich mich an den Rückweg nicht mehr erinnern kann…

Ja, ich bin an diesem Fluss aufgewachsen. Von den ersten Ausflügen im Kinderwagen in den späten 1980er Jahren bis zur Beendigung des ersten Studiums im Jahre 2009 habe ich immer in der Nähe gewohnt. 24 Jahre – die GPS Uhr blieb am Pfingstsonntag bei 240 km stehen. Irgendwie passend. So wie die GPS-Aufzeichnung der 230 km-Strecke ein paar Wackler aufwies, so waren auch diese 24 Jahre sicher nicht immer nur geradeaus. Und doch bleibe ich den Menschen an der Ruhr für immer verbunden. Auf höchst vielfältige Weise.

In den anschließenden Aachener Jahren sind die Menschen zu Freunden geworden, die den gemeinsamen Sport der letzten Jahre geprägt haben und die mich damit schlussendlich zur Ruhr zurück gebracht haben. 2016 auf der Mittelstrecke und dieses Mal über die volle Strecke. Natürlich war es in beiden Fällen hauptsächlich meine Initiative – aber es war in der Nachbetrachtung ein wunderbares gemeinsames Abenteuer.

Ob es Zufall war, dass Henk kurz vor meinem 100-Meilen-PR nach 22:27:irgendwas Stunden mit Sekundenschlaf vom Rad genau an der Stelle in die Böschung des Kemnader Sees gestürzt ist wo ich mehr als ein Jahrzehnt vorher oben beschriebenes Feuerwerk zu betrachten pflegte und wo Henk 2014 bei seinem eigenen 230 km-Versuch sein Scheitern erkennen musste (damals war ich temporäre Laufbegleitung in den längsten Stunden der Welt) – ich weiß es nicht.

Fest steht nur, dass Support der wesentlich härtere Job ist und dass es ganz unten an der Ruhr ganz besonders orange leuchtet wenn die Sonne etwas tiefer steht…

Sonnengewärmter Stahl

When lonely days turn to lonely nights
You take a trip to the city lights
And take the long way home
Take the long way home

Supertramp

Auf den Wegen die wir wirklich lieben könnt ihr uns nicht folgen. Zu den langen Strecken brechen wir oft zu unmöglichen Zeiten auf und bewegen uns auf “Wegen” die eine Fahrrad- und oft auch eine Laufbegleitung unmöglich oder unzumutbar machen. Selten werden wir mit GPS-Sendern versehen und oft ist an Mobilfunk und mobile Daten nicht zu denken.

Wir verschwinden einfach und tauchen nach einer nicht absehbaren Zeitspanne zerkratz, blutend, müde aber lächelnd wieder auf. Wir wissen, das ist schwer zu verstehen. Auch unsere Berichte klingen oft unglaubwürdig. Das wir uns zwischendrin im Paradies befinden klingt unrealistisch. Die laute Stille nachts im Wald, die Wiesen im Morgentau, das letzte Licht des Tages, die ersten Strahlen der Sonne am Morgen, die warmen Steine, der duftenden Waldboden… Da draußen liegt die unendliche Schönheit dieser Welt.

Es ist Pfingstsonntag 2018. Irgendwann zwischen 10 und 19 Uhr. Irgendwo auf dem Ruhrtalradweg. Es ist in der Zwischenzeit viel zu warm geworden – zumindest im Vergleich zu den ersten 24 Stunden. Die Sonne brennt von oben. Der Radweg ist voll, dauernd gehen die Klingeln und ständig wird ausgewichen. Der Asphalt ist warm, die Bänke besetzt – das muss sie sein. Die Hölle, von der immer alle reden.

Von hinten kommt die Ansage: “Wasser”. Zwei Räder kommen nach vorne. Der VPsucher nimmt seine Flasche entgegen und auch ich bekomme meine gereicht. Kurze Konzentration, ein tiefer Zug lauwarmes Wasser, Flasche abgeben und das wars. Ein ewig gleiches Spiel. Seit Stunden. Jedes Mal stelle ich mir die Wassermenge vor, die ich schon getrunken haben muss. Man ist doch erstaunlich gut versorgt an diesem schlimmen Ort.

Unsere Crew leistet Unfassbares. Unterhält uns wenn es passt und, mindestens genau so wichtig, lässt uns (mich) in Ruhe, wenn es nötig erscheint. Fährt zwei Autos und zwei Fahrräder die Ruhr runter, wechselt Reifen, versorgt sich und alle unsere Crew-Gäste bestens, kauft Wasser nach, liest uns unsere Wünsche von den Augen ab, kämpft sich durch den Verkehr, packt das Auto ein und aus und ein und aus und ein und aus und ein und aus. Und es funktioniert fantastisch. Gerade in den harten Phasen greift alles ineinander – ein perfekt funktionierender Motor. Das war ein sehr besonderes und erhebendes Erlebnis für uns!

Eigentlich ist es also doch alles gar nicht so schlimm wie es scheint.

Gar nicht so schlimm!

Und dann noch das: wir (und das schließt mich mit ein) laufen immer wieder längere Strecken. Zwar langsam, aber beständig. Sowohl diesseits als auch jenseits der 200 km. Warum hat denn niemand gesagt, dass das alles so einfach ist. Nein, im Ernst: es ist anstrengend, ja, aber es ist auch möglich und es geht voran. Ein wichtiger Sieg über mich selbst. Das Gefühl war bisher noch nie so klar da und es fühlt sich gut an. Dieses Mal wird es ein gutes Ende nehmen. Keine großen Zweifel, kein Auto 6 km vor Schluss, kein Bangen und kein Zittern. Auch wenn ich nach dem Auto gerufen habe war das eher ein Zeichen dafür, dass der Humor diesmal ebenfalls durchhalten würde und eine Warnung an das Rheinorange: sometimes we have to win too! Ich war mir tatsächlich schon am Samstag Morgen recht sicher, dass es gehen wird – und das war auch ein neues Gefühl.

Ruhr226 😀

Trotz der Unannehmlichkeiten die 35 Stunden Laufen so mit sich bringen sind die letzten Kilometer wunderbar. Wie der ganze Lauf eigentlich. Das nimmt uns keiner mehr. Viele von euch wollten informiert werden, haben mitgefiebert, waren vor Ort und haben geholfen. Wir hoffen euch das Ultralaufen etwas näher gebracht zu haben – mit allem was dazu gehört. Das Ding war für euch!

Auf dieser Strecke wird es kein Wiedersehen mit uns geben. Sehr viele Ziele und Träume sind erreicht und in Erfüllung gegangen – sowohl für uns als auch für einige aus dem Team. Damit ist das auch ein Abschied. Wir konnten das Wochenende genießen und es wird für immer eine schöne Erinnerung bleiben, aber unser Spielplatz ist “dort draußen”. Fern vom heißen Asphalt.

Und was denkt man dann so mit einem kaputten Kopf neben den überwältigenden Emotionen in DEM Moment?

Aha – der Stahl ist ziemlich warm!

Wir verbeugen uns vor:

Henk & Helmut (wir hoffen die Papa´s sind ein wenig stolz – wir haben es für euch zu Ende gebracht), Maren & Martine (ihr habt fantastisch für uns gekämpft), Alex, Steffen & Rainer (klasse, dass ihr zu uns gestossen seid), Barbara & Klaus (für uns wie für die Crew eine super Unterstützung), allen Teilnehmern (hat sehr viel Spaß gemacht viele von Euch, ob vorher bekannt oder nicht, zu treffen und ein paar Momente miteinander zu teilen), Crews (super Stimmung unterwegs) und dem Orga-Team!

Niemals ohne mein Team!

 

Beyond preparation

– Wie bereitet man sich auf sowas vor? –

“Gar nicht besonders speziell” ist meine Standard-Antwort!

Stimmt nicht ganz. Eine punktgenaue Vorbereitung in ganz eng gefassten und ausbalancierten Grenzen liegt uns sicher fern. Macht sicher Sinn und wir empfehlen das auch gern allen. Ist aber nix für uns. Natürlich laufen wir in den Monaten davor etwas. Aber nicht extrem viel mehr also sonst auch.

Über den Minimum-Trainingsumfang, der mir ein Finish bei der TTdR160 2016 erlaubt hat, im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2018 in der Vorbereitung auf die TTdR230 2018 kann ich viel erzählen. Aber zwei Bilder sagen ja mehr als 1000 Worte:

Verglichen ist jeweils der Zeitraum vom 01.01.2016/18 bis 13.05.2016/18. 2018 steht mit +5% Aktivitäten, +3% im Anstieg (sicher sehr wichtig), +14% Gesamtdistanz und +8% durchschnittliche Distanz/Lauf leicht stärker dar. Im Wesentlichen aber eine vergleichbare Leistung. Einzig relevant könnte die leicht längere durchschnittliche Distanz sein. In beiden Jahren war der längste Vorbereitungslauf im angegebenen Zeitraum knapp 150 km lang.

2016 hat es für 160 km gereicht – 2018 bleibt abzuwarten. 

Es gibt noch die Taktik vom VPsucher: mindestens doppelt so viel laufen wie der Pfadsucher! Das hat noch immer funktioniert. Für was auch immer.

Also, auch wenn wir fest davon überzeugt sind, dass Training den Wettbewerb unnötig verschärft – wir sind einfach gern draußen. (S)Pace is the limit.

Ruhrorange

Wenn man in Witten aus der Stadt kommend, den Hauptbahnhof links liegen lässt und Richtung Heven läuft kommt man nach der Unterführung unter den Schienen zuerst am Kiosk (rechte Straßenseite) vorbei. Dort gönnt man sich am allerbesten ein Kaltgetränk seiner Wahl und packt noch ein paar davon in den Rucksack. Dann geht es eine ganze Zeit lang am Stahlwerk (links) vorbei. Den Geruch sollte man genießen. Diese Mischung aus beißender Chemie mit einem öligen Unterton wird zu etwas Vertrautem und Liebgewonnenem, wenn man diesen Weg nur oft genug geht. Dazu kommt das leise aber kräftige Rumpeln der Stahlträger im Werk. Nachts ist das noch eindrucksvoller.

Am Kreisverkehr dann links bis zum nächsten Kreisverkehr wo der “Ruhrdeich” zur “Herbeder Straße” wird. Da drüber und schräg geradeaus geht der Ruhrtalradweg rein ins Grüne. Schnell kommt man zur Nachtigallbrücke. Wenn man links nach unten schaut ist ein Steg zu sehen. Da kommt man gut hin und kann dann einfach nur noch genießen. Die Füße in die kalte Ruhr halten, sein Kaltgetränk zu sich nehmen, das ewige Treiben des Flusses beobachten – die leisen Geräusche aus dem Stahlwerk als Hintergrundmusik.

Ein wundervoller Platz. Wenn man Glück hat geht zuerst die Sonne unter und dann eine andere Sonne auf. Abstich im Stahlwerk. Und auf einmal ist der ganze Himmel ORANGE…

Im Mai 2018 wird es so km 150 bis 160 sein und die Geduld für die Bewunderung dieser Schönheit wird arg begrenzt sein. Und doch wird es ein Moment des Genießens werden und für mich die Erinnerung an die vielen guten Jahre an der Ruhr und die unzähligen Stunden “da unten” auf dem Steg.

TTdR230 2018

Und ja: wir werden es 2018 mal von Winterberg (230 km) aus versuchen. An dieser Stelle ist es Zeit sich an die schöne und anstregende Zeit 2016 zu erinnern, sich noch einmal bei der großartigen Crew damals zu bedanken und sich dann auf die Wiederholung im nächsten Jahr zu freuen!

Wir werden uns so nach und nach organisieren. Es wird wie letztes Mal eine Gruppe in einem dieser neumodischen Netzwerke geben, wo wir Crew, Interessenten und Schaulustige versammeln werden. Wenn ihr dabei sein wollt könnt ihr euch ab sofort bei uns melden: info.pfadsucher@posteo.de! Es wird ein langer und intensiver Weg aber wenn ich das Foto hier so anschaue…

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Vielleicht ist ein zweites Mal ja auch noch drin?