20140607_TorTour Support

„Es ist eine gefährliche Sache, Frodo, aus deiner Tür hinauszugehen. Du betrittst die Strasse, und wenn du nicht auf deine Füße aufpasst, kann man nicht wissen, wohin sie dich tragen.“

Leichte Kopfschmerzen, das Gefühl zuviel gegessen zu haben und gleichzeitig die Frage ob genug Energie im Körper steckt und dazu diese bleierne Müdigkeit. Es ist Samstag Abends 23 Uhr. Am liebsten würde ich mich jetzt ins Bett liegen. Im Fernsehen nur belangloses Zeug – immer wieder der Blick auf das Handy. Immer noch keine SMS. Die Gedanken sind bei Henk – das war heute viel zu warm für einen Lauf über ein paar KM und sicherlich die Hölle wenn man seit 8 Uhr auf den Beinen ist. Um 00:26 kommt die SMS von Rebecca: „Henk wandert jetzt – braucht noch eine Stunde bis KM 130“. Es ist also soweit. Der Blick aufs Thermometer: Unglaubliche 19 Grad. Gut, dann kommt das Unterhemd wohl in den Rucksack. Ein bisschen Wasser, das Handy, die Uhr und die Lampe. 6 KM bis zum VP130 und die ersten Schritte beseitigen nicht nur die Müdigkeit, auch die Kopfschmerzen sind sofort weg. Es geht gut, Fuchs, Reh und Igel auf dem Weg sind relativ erstaunt über meinen Lauf zu dieser Zeit, aber was soll´s. Herdecke bei Nacht ist wie immer: absolut leer. Angekommen auf dem Parklatz am VP130 treffe ich glücklicherweise direkt auf Astrid (Willem macht es sich gerade im Camper bequem um ein wenig zu schlafen), mit der zusammen ich die etwas verstecke Verpflegung finde. Es ist 01:30 Uhr und an der Verpflegung läuft alles ruhig und familiär ab. Jetzt heisst es warte. Wann kommt Henk? Astrid und ich setzen uns an den Radweg und schauen den ankommenden Läufern entgegen. Dann ist Henk da. Er berichtet von einem guten ersten 100er, der großen Hitze, einer nervigen Umleitung und das es ihm nicht gut gehe. Ich bin etwas sprachlos: was soll ich ihm jetzt sagen? „Alles gut!“, „Du hast noch genug Zeit“, „Jetzt ist es doch nicht mehr weit!“ – alles klingt irgendwie unpassend. Henk isst nur ein Toast und will direkt weiter. Astrid auf dem Rad und ich zu Fuß begleiten ihn: einer rechts und einer links von ihm. Nachtwanderung. Henk kann nicht mehr laufen – er versucht es mehrmals aber es geht ihm direkt sehr viel schlechter. Er ist besorgt, rechnet schon jetzt – einen Schnitt von 6 km/h will er unbedingt halten. Das klappt in der ersten Stunde auch ganz gut. Links von uns liegt groß, schweigend und dunkel der Hakortsee. Kurz hinter Wetter erreichen wir den VP140. Rebecca und Willem sind da, Henk trinkt Kaffee. Mit Astrid auf dem Rad und mir gehts weiter. Willem ermahnt mich Henk nicht am Rand des Weges gehen zu lassen: „Wenn er einmal fällt dann war´s das!“ Es beginnt eine schwierige Zeit. Henk ist am Ende und schwankt gehörig. Der Schnitt nähert sich immer weiter den 5 km/h. Ich halte Björn per SMS´en auf dem Laufenden. Zugleich merke ich mir wie mir die Fußballen weh tun. Scheinbar ist das Wandern in Laufschuhen etwas ganz anderes als Laufen – ich verdränge diese Gedanken. Was sind schon diese Probleme im Vergleich zu Henk´s Zustand. Ab 4 Uhr fängt es an zu dämmern – gegen 5 Uhr können wir die Stirnlampen einpacken. „Das Problem ist, dass ich nicht mehr gerade aus laufen kann“. Dann sind wir wieder am Camper. Wieder Kaffee für Henk. Dem tut es sichtbar gut. Auch das man wieder was sieht kommt uns allen zu gute. Meine Füße fühlen sich komisch an. Es wird weiter gewandert und wir nähern uns langsam aber sicher dem Kemnader Stausee. Auf dem Weg dahin geht die Sonne orange über Thyssen auf – ich denke mir: mehr Ruhrgebiet geht nicht. Henk kommt uns am Kemnader See weit entgegen. Etwas abseits von Henk beraten wir uns. Er bestätigt mir, dass das Gehen tatsächlich was ganz anders ist und auch von Ultraläufern geübt werden sollte (wer, wenn nicht er muss das wissen). Auch sagt er: ihr seid zu langsam. 10 Minuten schon. Kurze Verpflegung: Henk bleibt lieber so gut wie gar nicht stehen. Großartiger Kampf. Ich schreibe in der Zwischenzeit Björn, dass wir bis VP174 wohl doch noch sehr lange brauchen würden. Er antwortet er sein in Zwischenzeit angekommen (nach einer sicher nicht angenehmen Zugfahrt durch die Nacht). Wir alle machen Henk Mut. Henk geht weiter. Ich versuche ihm etwas zu erzählen, weiss aber nicht so recht was und so ermuntere ich ihn von Zeit zu Zeit und hoffe das mein gehen neben ihm ihn gut genug unterstützt. Meine Füße brennen. Wir sind auf der Hälfte des Kemnader See´s als Henk plötzlich sagt: „Bei 174 steige ich aus, es reicht!“ Er entschuldigt sich für seinen miserablen Zustand und hängt noch weitere überaus plausible Gründe an warum es nicht mehr geht. Ich sage ihm mehrmals, dass er sich nicht zu entschuldigen bräuchte. Ich hätte vollstes Verständnis und sage ihm, dass es bisher eindeutig schon eine überaus großartige Leistung sei. Wie groß mein Respekt vor seiner Leistung und seinem Kampf ist, kann ich nicht in Worte fassen. Meine Füße schmerzen schon nach 30KM und Henke hat jetzt bald 160. Wie kann er sich überhaupt noch bewegen? Ich schreibe Björn er soll sich vom VP174 mal besser laufend auf den Weg uns entgegen machen, damit Henk ihn noch zu Gesicht bekommt. Henk ist innerlich glaube ich sehr zufrieden mit seiner Leistung und froh über seine Entscheidung. Es wird schon ziemlich warm, wir gehen weiter und werden langsamer. Schnell wird klar das wir VP174 heute nicht erreichen werden. Wie Henk diese letzte Stunde übersteht, kann ich nicht nachvollziehen. Mir tut auch jeder Schritt weh – insgesamt wohl ein sehr trauriges Gespann. Es ist mittlerweile nach 8 Uhr. Endlich kommen wir bei ungefähr KM163 wieder zum Camper. Alle sind da, Willem, Rebecca und Astrid – alle gratulieren Henk. Dieser verschwindet ziemlich schnell im Camper: sein Versuch die Stufen in den Camper zu besteigen macht nur überdeutlich was er geleistet hat. Ich finde ein Stück Wiese und kann mich endlich mal hinsetzen und meine geschwollenen Füße samt einer großer Blasen bewundern. 8 Stunden auf den Beinen, knapp 40KM, kein Schlaf – ich bin froh zu sitzen. Björn findet uns glücklicherweise. Ist kurz bei Henk. Alle sind müde und können sich jetzt entspannen – Henk hat alles versucht und wir haben versucht ihn möglichst gut dabei zu unterstützen. Henk hat 24 Stunden durchgehalten, die ersten 12 in einer Temperatur die sich perfekt fürs Freibad eignet und die nächsten 12 immer noch sehr warm und teilweise dunkel. Er hat etwas mehr als 100 Meilen hinter sich gebracht. Zum Zeitpunkt von Henk´s Aufgabe haben schon über 40  der 80 Startern auf der langen Distanz das Handtuch geschmissen. Es wird immer wärmer. Es wird wieder so ein unmenschlicher Tag. Vermutlich hatten nur die eine echte Chance, die so schnell waren, dass sie zu dieser Zeit schon so um KM200 sind. Für alle anderen würde es sehr, sehr schwer werden. Einen zweiten Tag bei annähernd 30 Grad – vorstellen kann ich es mir nicht. Ich komme mir sehr klein vor in diesem Moment auf dieser Wiese.

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