Ein unendlicher Dank gilt dem Orga-Team, den Supportern und den Legendary Friends (oft Ultraläufer, die als Support angereist waren und die Betreuung mit übernommen haben). Die Intensität der Stimmung, der Emotionen und des Zusammenhalt sowie der Support war einmalig. Die wenigen CPs die dieser Lauf aufbietet sind die Inseln der Hoffnung in diesem unerbittlichen Lauf. Und doch wird einem dort von jedem nahegelegt, dass es nur einen Weg gibt – wieder zurück auf die Strecke.
Ein ebenso großer Dank gilt der Support WA-Gruppe sowie allen, die über Einzelnachrichten digitalen Support geschickt haben. Jede Nachricht hat mich angetrieben und davon abgehalten aufzugeben. Ich bin das Ding für Euch gelaufen. Danke Matthias für den besonders engen Support, das Mitfiebern mit jedem Schritt und dem Telefonat kurz vor Ende der 4. Etappe. Ich hoffe du hast dich inzwischen auch wieder erholt?
Danken möchte ich zudem den anderen Teilnehmenden. Mit vielen habe ich viele Kilometer geteilt, mich lange unterhalten, einfach schweigend mit ihnen gelitten oder bin auch mal gefühlt stundenlang hinterher ihnen her gelaufen. Vielleicht auch nicht nur gefühlt. Es waren tolle Erlebnisse. Lasst uns einander unsere unterschiedlichen Launen und Zustände verzeihen und mit Demut schätzen lernen, dass wir uns so oft über den Weg gelaufen sind und dort draußen nicht allein sein mussten. Ich hab Euch leiden sehen, euch verwirrt inden Wald schauen sehen, Euch über der Navigation verzweifeln sehen, Euch kämpfen sehen. Nach dem Lauf habe ich das Gefühl: jeder der dort überhaupt antritt hat tiefen Respekt verdient – zu welchem Ende es auch am Ende gereicht hat.
Plan war es, die Etappe 1 (Start Freitagabend 1800) mit ihren 60 km in ca. 10 Stunden bis 0400 am Samstagmorgen über die Bühne zu bringen. Damit wäre schon etwas Polster auf den Cutoff gewonnen und das Tempo sollte trotzdem nicht überzogen sein. Der Start in der Abenddämmerung hatte es in sich. Schnell ging es runter zum Ufer der Ourthe. Schnell wurde klar, was die Schwierigkeit des Legends Trails darstellen würde: unwegsames Gelände. Wurzelige, steinige Trails – durch die gut gefüllt Ourthe teils überflutet – steil, schräg, rutschig. Jeder einzelne Schritt kräftezährend. Aufpassen war angesagt. Bei ca. Kilometer 12 ein Abhang, der nur durch hinabstürzen/rutschen zu überwinden war, gefolgt von einem durch Bäume blockiertem Trail – welcher durch Klettern in einem Dornenfeld umgangen werden musste. Wenn man nach einer so kurzen Zeit im Rennen schon auf 2-3 km/h zurückgeworfen wird fängt der Kopf an zu arbeiten. Was kann das nur geben – das ist doch gemacht um Unmöglich zu sein. Und doch: es war massig Zeit und ich hab mich schnell an das Mantra erinnert, an das es sich zu halten galt: Ruhe bewahren und nicht wegen Lappalien das Rennen verlassen. Es wurde nach 15 km besser und die restlichen 45 km sind ohne große Erinnerungen geblieben. Das heißt sie musst einigermaßen annehmbar gewesen sein. Das Finale bot ein eher zugewachsener/blockierter Trail bergab zum CP1.
CP1 war ein mit Ofen beheizter Raum mit langen Tischen. Nach der durchlaufenen Nacht war es die ersehnte Pause. Trotzdem gelang es mir nicht wie gewünscht in den Pausenmodus zu verfallen und die wertvolle, weil rare Erholung zu finden. Mein Platz in der Nähe der Tür ließ mich nicht wirklich zur Ruhe kommen. Der Teller Nudeln mit Hackfleischsosse tat gut. Umziehen war auch angesagt – neues Unterhemd, neue Socken, dann wieder in die Sealskinz und zurück in die Schuhe. Ich hatte auf der ersten Etappe einiges der selbstgemachten Bratlinge und Pizzateilchen gegessen, diesen Teil der Verpflegung habe ich im Rucksack ersetzt. Den Rest der Verpflegung hatte ich nicht angerührt und so gab es da wenig neu zu packen und der Rucksack war nach dem Auffüllen der Wasserblase schnell wieder komplett. Ich fühlte noch immer diese Unruhe und es wurde Zeit den CP1 nach der ohnehin schon vergangenen Stunde wieder zu verlassen. Um ca. 0500 am Samstamorgen ging es also los auf Etappe 2.
Etappe 2 stand an und mit ihr der Abschnitt mit den meisten Höhenmetern. Dafür aber endlich Tageslicht. Aus den Trainings, Rennen wie dem Ohm-Trail oder Olne-Spa-Olne bin ich ja einigen Kummer gewohnt. Aber da sind dann ein paar Anstiege drin und gut ist. Und vor allem sind die nach 50-70 km wieder rum. Beim LT250, mit schon über 60 km in den Beinen, diese unerbittlichen Steigungen zu erklimmen und direkt im Anschluss wieder abzusteigen – mit dem Wissen, dass es die nächsten Stunden einfach mal so bleiben würde – das ist eine andere Nummer. Teilweise 300 HM an Stück hoch, wieder runter, wieder rauf. 10, 15, 20% Steiguns/Gefälle-Prozente. Wunderschöne Ardennen, wirklich. Aber ohne Gnade. Ziel auf dieser zweiten Etappe war ein Daylight-Finish. Das hat mit ca. 1800 und ca. 13 Stunden für die 65 km so gerade geklappt. Ungefähr 24 Stunden für 123 km. Und jetzt so richtig erschlagen und geschlaucht. Was. Ein. Brocken.
Jetzt aber mal ein Stopp der entspannt. Auch am CP2 war die Unruhe während der ersten Minuten noch da. Aber insgesamt war die Stimmung ob des größeren Raums und der Müdigkeit aller etwas ruhiger. Dann, nach einem Teller Reis mit Irgendwas, habe ich die einzig richtige Entscheidung getroffen: die gewaschenen und sehr schmerzhaften Füße in die erfahrenen Hände der Exile Medics gegeben. Föhnen, Aufstechen, Beschneiden, Tapen und danach frische Socken sowie frische Sealskinz drüber. Und siehe da – Humpeln ging wieder. Nächste Entscheidung: Schuhe wechseln. Das war mehr ein unterbewusster Reflex und ein Risiko. Das zweite Paar ist bisher kaum gelaufen und quasi frisch gekauft. Aber ich konnte dem Gefühl fast neuer Hokas mit ordentlich Grip nicht wiederstehen. Auch der Rest der Klamotten wurde ausgetauscht und verstärkt – schließlich wartete die zweite Nacht und die Ausläufer des Hohen Venns. Kurz vor 20 Uhr ging es weiter – nur noch 2,5 Stunden vor dem Cutoff.
Etappe 3 war 38 km kurz und hatte zudem wenige Höhenmeter zu bieten. Also einfach Augen zu und durch? Natürlich nicht. Es sollte der Horror werden und mich dorthin zurückwerfen, wo ich nie wieder hin wollte. Zunächst ging es ganz gut los – ein stetiges Ansteigen hoch in die Region des Hohen Venns. Die Höhen dort haben dann zwar weniger Höhenmeter aber natürlich ist es ausgesetzt, windig, eisig, komplett unter Wasser und haben damit ganz besonders tolle Qualitäten. Es wurde nun brutal. Gut, dass wir in wechselnden Gruppen zusammen waren und insgesamt sehr viele Läufer auf einem engen Abschnitt dort oben unterwegs waren. Immer gut mal ein Licht im Moor zu sehen… Die Freude endlich wieder aus der Höhe absteigen zu können wich schnell dem totalen Horror. Die Streckenführung sah für die letzten 7 km bis zum CP3 klettern vor. In einer regnerischen zweiten Nacht. Und zwar nicht irgendwie. Sondern teilweise auf allen Vieren. An Bäume geklammert. Pech, dass auch noch das mentale Tief total durchschlug. Der Tiefpunkt war erreicht. Der Kopf leer. Die Abstiege die zu bewältigen waren waren verdammt gefährlich, die Kraft weg und der Wille fast gebrochen. 5 km vor Ende hab ich die große Truppe weggeschickt. Ich war am Ende und wollte alleine sein. Ich sah sie auf dem Trail entschwinden und wusste: das wars. Meine Stirnlampe versagte den Geist. Entweder sie war aus oder leuchtete mit 200 Lumen (was bedeutet der Akku ist innerhalb weniger Stunden erschöpft). Das waren jetzt echte Probleme. Mir war kalt. Das Handy konnte ich nicht mehr bedienen, die Supporter eh alle im Bett. Was also tun? Gut, dass die Wege Flüsse waren und der Wind kräftig bließ. Ich hatte Angst zu unterkühlen und wusste die einzige Rettung liegt 5 km weiter hinter 2-3 der schlimmsten Hängen der Ardennen. Also irgendwie weiter. Die Ab- und Aufstiege in halber Bewusstlosigkeit sind sicher der Stoff aus dem die Trail-Horrorfilme gemacht sind. Ich hatte doch garnicht nach Barkley-Training gefragt. Um ca. 6 Uhr morgens erreichte ich gebrochen CP3. Es muss auch irgendwann mal Schluss sein. 100 Meilen geschafft.
Am CP3 herrschte eine merkwürdige Stimmung. Tiefe Depression und unbändiger Wille. Viele versuchten draußen zu schlafen. Ich habs garnicht erst versucht. Ich wollte die letzten Lebensgeister nicht auch noch einschläfern. Wieder Pediküre. Kartoffelbrei mit Irgendwas. Was mich dazu bewogen hat den Rucksack wieder zu packen – wer weiß das schon. Es wäre ein bildhübsches DNF geworden. Aber irgendwas bewog mich zu der Aussage: Nachts gibst du nicht auf und den nächsten Tag guckst du dir zumindest nochmal kurz an.
Und zack. Nach dem tiefsten Tief das höchste Hoch. Zwar war es nebelig und nicht wirklich hell, aber es gab Tageslicht. Und ein paar laufbare Passagen. Ich fühlte mich plötzlich wieder lebendig und beflügelt am Beginn der 4. Etappe. Ich war noch drin. Der Übermut ließ mich das sorgsame Navigieren kurz aus den Augen verlieren und in den 10 Minuten Weg suchen sah alles dann nicht mehr ganz so rosig aus. Danach rannte ich regelrecht. Ein großer Fehler und ein stechender Schmerz in der Wade. Fuck. Sollte es das gewesen sein? Schmerzen. Bei jedem Schritt. Das Rennglück wie abgerissen, schien es. Aber nach einigen Minuten Humpeln wurde es etwas erträglicher. Nach einer Stunde gehen ging wieder langsames Joggen. Vielleicht gab es ja doch eine Chance. Irgendwie zu CP4 kommen. Aber es wären nicht die Ardennen, wenn das einfach geworden wäre. Der versprochene Sturm und Regen hatten sich zwar verspätet und abgeschwächt aber sie kamen. Die letzten 10 der 40 km dieses Abschnittes waren von Regen und Wind geprägt. Und es wurde schon wieder dunkel. Unfassbar. Der kalte Regen war ein Schlag ins Gesicht. Völlig nass und kalt war ich endlich dort wo der Track endete. Aber wo war der verdammte CP? 10 Minuten im Regen stehend habe ich gebraucht um den Pfeil zu entdecken. Die Verwirrtheit nahm also zu. Aber endlich rein ins Warme.
Am CP4 war die erste Handlung: raus aus den nassen Klamotten und ab auf die Heizung mit ihnen. Und dann mal Hinsetzen und über das Leben und die eigenen Handlungen nachdenken. Neben dem leckeren Essen (2 Portionen mit Irgendwas mit Nudeln), dem Umpacken des Rucksackes und dem Umziehen bestimmten die Fakten das Denken. Es war möglich hier 2 Stunden vor dem Cutoff wieder rauszugehen. Knapp zwar, aber 2 Stunden sind 2 Stunden. Es geht mir miserabel aber ehrlich: was hatte ich erwartet. Schon über 200 km, 48 Stunden im Rennen, keine Minute Schlaf. Das kann nicht spurlos an einem vorbei gehen. Draußen strömender Regen – also an Schlaf irgendwo nicht zu denken. Und sowieso: dafür wäre keine Zeit. Ich war nicht so weit gekommen um raus zu gehen. Also die teilweise nassen Klamotten wieder an und Zähne zusammenbeißen. Ich hatte doch alles dabei: zwei mehr oder weniger kaputte Stirnlampen, ein nasser Rucksack voller Essen und einen letzten Rest Hoffnung. Worauf wartete ich noch? Raus in den Regen.
Der Beginn der 5. Etappe hatte es dann in sich. Es lief garnicht mehr. Es war unfassbar kalt (Müdigkeit). Der Regen. Das Ziel noch zu weit weg um zu ziehen. Ich war nicht allein unterwegs und das war echt gut so. Jetzt setzte nämlich der Kopf aus. Nach 50 Stunden ohne Schlaf war der Bogen endgültig überspannt. Es erschienen die Geister die ich rief. Am Rand des Kegels der Stirnlampe fing alles an zu verschwimmen und zu tanzen. Die Beine der Läufer vor mir führten Tänze auf, die Kapuzen hatten hinten Gesichter. Das ist an und für sich recht spaßig. Aber es lenkt ab. Und dann die huschenden Gestalten und Menschen zwischen den Bäumen am Rande des Gesichtsfeld. Teils betrachtete ich mich von der Seite mit den Armen wedelnd im verzweifelten Versuch die bösen Geister zu verscheuchen. Ultralaufen ist etwas für Genießer. Ok – Reißleine ziehen. 10 Minuten an einen Schlammhang lehnen und schlafen. Die Kälte danach war unerträglich aber die Geister verzogen sich wieder etwas. Gut, dass es auf halbem Weg nochmal einen weiteren CP gab. Ein beheiztes Zelt, Sandwiches, Schutz vor de Elementen. Der Aufbruch nach einer kurzen Pause war natürlich brutal, aber von hier waren es noch 28 km. Sollte es doch gehen? Alle waren am Ende mit den Nerven. Unsere Gruppe zerfiel langsam. Die Tempi passten nicht übereinander. Ich hatte das Gefühl allein sein zu wollen. Musik auf die Ohren und das eigene Tempo suchen. Kompliziert. Aber mal wieder ein paar Meter laufbar. Die Warnung vor dem Start war: nehmt Euch ein paar Stunden Puffer mit auf die letzten 15 km. Das wurde zur großen Sorge bzw. zum Fokus. Gas geben – alles was noch geht und sicher und zügig ins Finale eintauchen. Diese Konzentration hielt mich wach und einigermaßen fokussiert. Noch 14 km. Ich kannte die Gegend. Es waren einige Bäume gefallen und die Hänge sind sehr, sehr steil. Aber alles in allem war ich nach ein paar Kilometern gehen und Klettern am Ufer und den Hängen der Ourthe erleichtert. Es lässt sich aushalten. Noch 8 km.
Was hatte ich inden vergangenen drei Nächten und zwei Tagen nicht alles erleben dürfen. Und jetzt war es wirklich da: das Finale. So langsam stellte sich die tiefe Dankbarkeit und Demut ein, die ich so sehr schätze und die nur echte Herausforderungen hervorrufen. Die Tatsache, dass die Sonne wirklich wieder aufging und nur noch 7 km auf der Uhr waren rührte mich zu Tränen. Es würde tatsächlich klappen. Diese Tatsache überwältigte mich so, dass ich eine Pause einlegen musste. Ewig hätte ich dort am Ufer der Ourthe stehen können und den Nebelschwaden beim Aufsteigen zusehen können. Und dann war es da, das nächste Gefühl: sieh zu, dass du wirklich ins Ziel läufst – jetzt hast du es dir verdammt nochmal verdient. Was für emotionale letzte Kilometer. Fast zu überwältigt von den Emotionen um das Finish zu denken, so sehr angezogen davon und mit diesem eigenartigen Bedauern: sollte diese Reise tatsächlich ein Ende finden?
Ich würde diese 361.930 Schritte doch eh niemandem vernünftig erklären können und es wird auch keiner je diese Emotionen nachvollziehen können. Ich war etwas traurig – es würde ein langer Weg zurück ins normale Leben werden. Die Gefahr bei jeder Reise ist, dass man verändert von ihr zurück kommt.
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