DutchCoastUltraRunbyNight_2016

Ach, es ist doch immer sehr schön ans Meer zu fahren. Und dann noch so kurzentschlossen und spontan. Einfach freitags Nachmittags in den Zug und kaum 4 Stunden später ist man schon in Den Helder und damit am nördlichsten Punkt des niederländischen Festlandes. Noch viel besser ist, dass es nach Süden einen schier unendlich langen Sandstrand gibt. Zum Verweilen, Spazieren gehen und Sandburgen bauen. Traumhaft. Nur die Sporttasche war irritierend und die Laufschuhe an den Füßen auch. Und Björn war dabei. Nach einer Zugfahrt ohne verpasste Anschlüsse und einigen Gesprächen über Läufe die außerhalb von Gut und Böse liegen, muss es für die wenigen anderen Passagiere ein komisches Bild gewesen sein als sich in Den Helder die Türen des ICs das letzte mal öffneten. Auf einmal waren ca. 20 in Sportsachen bekleidete Menschen, die im Januar im Dunkeln schnell aus dem Bahnhof in Richtung gegenüber liegendem Hotel verschwanden.

Der Start des DCURbN sollte nach GPS Track genau dort erfolgen. Also mal rein ins Warme. Es waren noch anderthalb Stunden zu überbrücken bevor um 2200 der Start für die Starter über die 100 und die 75 km Strecke erfolgen sollte. In der Zwischenzeit konnten wir das Treiben am 60 km Verpflegungspunkt der 100 Meiler beobachten. Die waren schon um 1400 in der Nähe von IJmuiden gestartet und durften daher den Strand in beide Richtungen und sowohl im Hellen als auch im Dunkeln genießen. Und sie waren bedauernswerter Weise auch die gewesen, die die Regenschauer aushalten mussten, die am frühen Abend über die Küste gen Westen gezogen waren. Die Hoffnung auf eine wettermäßig ruhigere Nacht stand ihnen in die Gesichter geschrieben. Überhaupt das Wetter: an dieser Stelle muss ich verstehen, dass ich den Unmut der Organisatoren verstehen kann. Bei einem Lauf, der oft davon gelebt hat gefühlte -20°C, Sturm oder Orkan von vorne, eingefrorene Gesichtspartien und Trinkschläuche aufbieten zu können, so schönes und ruhiges Wetter zu haben ist schon ärgerlich. Obwohl ich sonst vehement ungünstige Bedingungen verfechte – dieses Mal möchte ich mich zum ersten Mal nicht beschweren. Für die erste Erfahrung bei diesem Event war es schön, dass das Wetter überhaupt kein Problem war. Um 2130 wurde es in der Hotelbar richtig voll. Alle Läufer waren da und holten sich ihre Nummern. Auch wir registrierten uns und hatten mit Rinus unser Gepäckproblem (wie bekommen wir unsere Sporttaschen von Den Helder nach IJmuiden wo wir sie doch nicht wie alle anderen dort in unserem Auto hatten lassen können) ganz schnell gelöst. Danke dafür! Eindringlich wurden wir bei dieser Gelegenheit nochmal vor dem Strand gewarnt und das es wohl anders werden würde als wir es gewohnt seien. 🙂

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Rucksäcke auf und raus vor die Tür. Ein wunderbar rustikaler Start. Man benötigt einen Stuhl damit man als Organisator größer ist als die versammelten Verrückten und eine Konfettikanone. Ein paar liebe Worte die wir leider nicht ganz verstanden haben, die Uhren an (Navigation erfolgte ausschließlich nach GPS) und dann ging es an diesem Abend um 10 Uhr los. Die ersten 5 km über die Deichanlagen von Den Helder und dann runter ans Meer.

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Der noch vorhandene leichte Wind von Südwesten drehte im Lauf der Nacht vollständig nach Westen und flaute immer mehr ab. Am Anfang war das Laufen in der Gruppe noch deutlich leichter (Windschattenlaufen!!!), wir suchten aber nach unserem eigenen Tempo und nach dem Stück Strand welches genau die richtige Festigkeit aufwies. Erste Aufgabe: bis km 25 den Strand runter ohne groß Schaden zu nehmen und zu schnell zu sein. Bei km 25 erwartete uns ein Auto mit Wasser hinter den Dünen – zu kalt zum lange verweilen. Also runter an den Strand und weiter gehts.

Es gibt nicht genug Worte für die Zeit die wir dort am Meer verbringen durften. Natürlich ist das Laufen anstrengend und die Suche nach dem festen Stück Sand manchmal etwas lästig. Aber das Gefühl unter einem erst von Wolken umspielten und später dann hell scheinendem fast-Vollmond laufen zu dürfen, dauernd nach oben schauen zu müssen, weil der Anblick so schön ist, dann wieder minutenlang auf die eigenen Füße zu schauen und zu bewundern wie der Mond sich dem dünnen Wasserfilm spiegelt der auf dem Sand liegt, die Spiegelung des Mondes im Meer und die leuchtenden weißen Gichtberge, die Schaumteile die vom Wind mitgezogen werden und über den Sand auf einen zu fliegen und einem das Gefühl geben auf etwas zu laufen das sich bewegt, das Meer der Stirnlampen, die wie eine Perlenschnur bis in die Endlosigkeit verschwinden … Mit der Zeit wurde es so hell, dass die Lampen überflüssig wurden und wir in den Genuss kamen mitten im Januar nachts ohne Lampen am Strand laufen zu dürfen – unbeschreiblich. Dazu noch das Gefühl der Weite und der Zeitlosigkeit. Jedes Licht, jeder Schemen scheint Ewigkeiten nicht näher zu kommen, es gibt absolut kein Maß für Geschwindigkeit auf dieser bei Ebbe endlosen weiten Fläche. Rechts das Meer, links die Dünen. Das Maß für die Zeit war das Sternbild des Orions das zuerst südlich zu sehen war und dann im Westen im Meer versunken ist und der Mond, der einen ähnlichen Weg wählte. Ohne Worte.

Der VP bei km 50 kam wie eine Erlösung. Es ging also doch irgendwie voran. Mittlerweile zwischen so gegen 4 Uhr morgens tat es gut in das schöne Strandhaus gehen zu können und sich auf die bequemen Sitzmöglichkeiten fallen zu lassen. Ein Lagerfeuer, was zu essen, glücklich 50 km-Finisher, glücklich Menschen die die längeren Distanzen aufgegeben hatten und mit der Entscheidung zufrieden waren, Musik, Wärme. Es wäre leicht gewesen liegen zu bleiben. Wenn das Wetter härter gewesen wäre, wenn eine gute Ausrede da gewesen wäre…

Schnell wieder raus ans Meer. In die Weite und Einsamkeit. Ein Schritt nach dem anderen. Nach ca. 60 km im Rennen verlässt der Kurs das Meer. Ab auf den Asphalt. Eigenartiger Wechsel. Aber ein Unterschied und eine Veränderung. Gut für den Kopf. Bis man dann kilometerweit an langen und einsamen Landstraßen entlang läuft und den Klang der Wellen vermisst. Teil dieses dritten 25-km Abschnittes war dann auch der Hafen von IJmuiden. Riesig und beeindrucken. Ein Meer aus orangenem Licht, qualmenden Schloten, und überdimensionierten Schiffbefüllungseinrichtugen. Ein endloses Meer aus Wasserwegen und vor allem: laut. Ein gleichmäßiges Brummen in der Nacht. Das Rauschen der Wellen mit ihrem niemals endenden Konzert hatte einen menschengemachten Mitspieler gefunden. Die Einsamkeit in dieser Industriewüste war erstaunlich. Das Gefühl sehr klein zu sein dort draußen scheint ein Markenzeichen dieses Laufs zu sein. Es ist doch alles nicht so wichtig.

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Und dann endlich das Ziel. Für die 75 km Läufer und für die, die aus welchem Grund auch immer genug hatten von ihrer Reise. Es wurde einem leicht gemacht. Einfach in der 75 km Distanz werten lassen, Medaille um, aufs Sofa legen und Chips essen. Wir hatten vorher kurz drüber gesprochen. Björn ging es wieder besser und mir nicht schlecht genug.  Kurz nach dem Start hatte man uns zudem darüber aufgeklärt, dass die letzte 25 km Runde durch die Dünen wunderschön sei. Und sehr schwer. Das wollten wir uns dann doch noch anschauen. Für 2 km an den Strand und dann nach links rein ins Vergnügen. Wir wurden auf verschiedenste Weise belohnt. Helligkeit, fast knietiefe Wasserflächen auf denen das Eis noch zu sehen war und auch ein paar Trails. Die schmerzenden Füße nach den wiederholten Eisbädern waren schnell vergessen. Es bleibt erstaunlich was dann läuferisch doch noch geht. Es mag eigenartig klingen – es fühlte sich nach einer guten Entscheidung an wieder raus gegangen zu sein und in ein endloses Naturschutzgebiet voller kleiner Sandberge zu laufen… Es war der letzte Abschnitt dieses Rennens und er hatte alles zu bieten. Sogar wunderbare Singletrails.

Für mich kam nach ungefähr 90 km so langsam der Punkt wo ich meinte genug getan zu haben. Der Kopf wollte dann doch mal dafür belohnt werden, dass er noch nicht die Reißleine gezogen hatte. So schön die Dünen auch sind, ich habe mich dann doch gefragt warum diese Hügellandschaft kein Ende hat, warum da immer der nächste kleine Hügel kam und man von oben wieder nur die nächsten 5-6  Hügel sehen konnte auf einem schier endlosen Weg zurück ans Meer. Schließlich wurde das Geräusch der Wellen dann wieder lauter und nach 98 km auf der Uhr standen wir wieder am Strand. Zum ersten Mal im vollen Tageslicht.

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Es war beeindruckend und beängstigend. Wunderschön und trostlos. Uns war beiden klar, dass es genau 3 km am Strand sein würden und das 2 km dahinter das Ziel warten würde. Wir sind losgelaufen und hatten wie ich fand einen einzigen Gedanken: nicht stehen bleiben. Keine Ausrede wie “ich muss essen, pinkeln, mich hin legen”. Durchlaufen. Es war wohl ein wenig die Angst davor stehen zu bleiben und nicht mehr loslaufen zu können. Es waren sehr lange 3 km. Ein letztes mal die Dünen hoch auf den Deich und ab ins Ziel. Diesmal wirklich. Es gutes Gefühl. 103 km auf der Uhr und erschöpft. Dieser DCURbN ist etwas Besonderes. Sehr abhängig von den äußeren Bedingungen und auch bei den besten davon zugleich absolut faszinierend und schwierig. Vor allem für den Kopf. Das Bedauern der anderen Läufer auf die Aussage das man noch weiter müsse, spricht Bände. Viel wurde uns erzählt von den Wetterverhältnissen der letzten Jahre. Ob es dann wirklich möglich gewesen wäre anzukommen – wir werden es vielleicht nie erfahren. Aber man soll nie nie sagen.

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Es ist definitiv eine einmalige Erfahrung, es ist ein wunderschöner Lauf. Sicher einer von denen, wo der Kopf eine unglaublich wichtige Rolle spielt. Eine absolute Empfehlung, aber definitiv nicht zu unterschätzen. Keinem ist auch nur der geringste Vorwurf zu machen, bei km 50 oder 75 einfach sitzen zu bleiben. Das Meer und der Strand sind geduldig und geben einem das Gefühl, dass derartige Dinge nicht so wichtig sind.

Dank je wel an Ferry, Rinus und all die anderen, deren Namen ich mir nicht alle merken konnte. Super freundlicher und guter Support (inkl. Shuttleservice zum Bahnhof). Perfekt! Bemerkenswertes und wunderschönes Rennen. Diese 13 Stunden und die 103 km werden wir sicher nicht so schnell vergessen. Wer weiß, vielleicht sieht man sich mal wieder. Wie steht noch so schön auf der Webseite:

“The Beach at Night stirs the Heart and inspires the Imagination!”

Dem ist nichts hinzuzufügen!

Hin & NEU (10.01.2016)

Nach Hin & NETT konnte es nur eine logische Fortsetzung geben: Hin & NEU! Stefan hatte wie alle Jahre zum Nord Eifel Ultra geladen und alle waren da. Doch der Reihe nach! 0315 aufstehen, 0430 loslaufen in Aachen: 38 km bis Düren Annakirmesplatz. Wie angesagt erwischte uns um 0515 der dicke Regenschauer mit viel Wind und ein paar Blitzen. Mit Regenjacke ging es dann weiter. Es war einer der Tage wo es einfach nicht hell werden will. Da die Strecke hauptsächlich über große Wege führte (bis auf die kurzen Passagen wo der Track in den Wald, in die Dornen oder auf den Singletrail wollte) lief es ganz gut und wir waren im Zeitplan. Irgendwann wurde es doch hell und die Sonne kündigte einen tollen Tag an. Pünktlich um 0845 waren wir auf dem Annakirmesplatz und die Familie stand schon bereit. Über das Laufen und die Strecke wurde hier schon viel geschrieben. Der auf dem Hinweg versprochene Schlamm war überall und die immer mal wieder etwas trailigen 56 km durch die Nordeifel sind wunderschön. Immer wieder gerne, Stefan. Auch die liebevolle Betreuen von Stefan´s Familie und Freunden war wie immer genial. Vielen Dank dafür. Es hat mir das Laufen sehr erleichtert. Das Loslaufen mit 38 km in den Beinen in einer Horde erfahrener Ultras ist immer hart – mit der Zeit werden die Unterschiede dann Gott sei Dank immer etwas kleiner. Ansonsten war es ein wundervoller Tag, viele liebe und schöne Gespräche mit den Mitläufern. Man muss sich einfach wohlfühlen in der Truppe. Pläne wurden geschmiedet, persönliches besprochen, sich näher kennen gelernt – so verfliegt das Laufen selbst mit schweren Beinen. Der Nachhausefahrservice von Ina und Tobias setzte dem ganzen die Krone auf. Vielen Dank für den Service! Das war super!

Insgesamt 96 km. Oder wie Björn sagen würde: “endlich der erste längere Lauf in diesem Jahr”! 🙂 Spaß bei Seite: für die Strecke, die Distanz und den momentanen  Zustand war es sehr gut und lief ohne größere Probleme. So darf es weitergehen. Bereit für das was in 2 Wochen auf uns wartet!

I just felt like running.

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“Wovor läufst du eigentlich davon? Vor deinem Leben, deiner Familie, deinem Job?” Es scheint viele Menschen wirklich zu beschäftigen, was hinter der vielen Lauferei steckt. Sie suchen einen Grund und gehen davon aus, dass es da etwas sehr Problematisches geben muss, welches diese Flucht rechtfertig oder nötig macht. Die Antwort auf mein persönliches “Warum?” habe ich an anderer Stelle schon gegeben. Darum soll es hier nicht gehen. Es gibt nur noch einige Dinge die dazu zu sagen wären. Die Grundannahme, es habe direkt mit einer Flucht vor dem eigenen Leben zu tun, ist für mich grundfalsch. Diese Art des Laufens ist für mich schwer vorstellbar ohne die Unterstützung von Familie, Freunden und dem richtigen Umfeld. So fühlt sich das zumindest für mich an – Danke dafür! Zumindest einigen mir bekannten Läufern geht es da sehr ähnlich. Der Gedanke das Support sich immer lohnt und oft das Mögliche erst erreichbar macht, hat sich tief im Kopf festgesetzt.

Was schon eher in die richtige Richtung geht ist die Annahme, dass das Laufen ein Ausgleich ist. Ein Ausgleich für die diverse Anstrengungen, die der Alltag nunmal bereithält. Laufen ist für mich sicher auch eine Inspiration. Nichts ist besser als ein paar Stunden im Wald herumzuirren um den Kopf für neue Ideen zu leeren. Das einzige “Problem” dabei: sind die richtigen Läufer dabei, drehen sich diese Ideen oft nur um die nächsten läuferischen Missetaten.  Irgendwer hat mal so etwas gesagt wie: “Wenn du nach einem anstrengenden 3-Stunden-Lauf keine Antwort auf deine Frage gefunden hast, dann gibt es keine”. Das kann ich so unterschreiben!

Obwohl es gerade im Moment im öffentlichen und politischen Geschehen in Deutschland und der Welt meiner Meinung nach viele Dinge gäbe, vor denen es sich lohnen würde davon zu laufen, bleibt das Laufen für mich doch positiv besetzt. Es ist kein Davonlaufen. In den seltenen Fällen, in denen das Ziel definiert ist, ist es ein Laufen für genau dieses eine Ziel (meist ein Bogen in der Landschaft, oder ein einfacher Strich auf dem Boden, oder auch ein Stück Metall an einem Fluß). Meist ist es aber einfach das am leichtesten zu erreichende Stück Glück am Ende oder vor einem langen Arbeitstag. Um dorthin zu gelangen ist es nur notwendig die Schuhe zu binden und sich zu bewegen. Einfach und leicht.

Das Gefühl der Ratlosigkeit angesichts der besorgen Nachfragen ist sicherlich in “Forrest Gump” am besten wiedergegeben:

  • “NEWSMAN: Sir, why are you running?
  • 1ST REPORTER Why are you running?
  • 2ND REPORTER Are you doing this for world peace?
  • 3RD REPORTER Are you doing this for women’s right?
  • NEWSMAN Or for the environment?
  • REPORTER Or for animals?
  • 3RD REPORTER Or for nuclear arms?
  • FORREST (V.O.) They just couldn’t believe that somebody would do all that running for no particular reason.
  • 2ND REPORTER Why are you doing this?
  • FORREST I just felt like running.

Zu genau diesem Gefühl gibt es nichts hinzuzufügen.