Es ist kalt in diesem tief eingeschnittenen Tal. Eine schmale Furche in zwischen den dunkelgrünen Hügeln ringsum. Das tiefe Schwarz der Nacht wird zum stählernen Blau. Kurz vor dem Sonnenaufgang lebt der Wind oft etwas auf. Ich hab mich immer gefragt woran das wohl liegt. Ich stelle mir vor die Sonne treibt die Luftmassen irgendwie vor sich her. Ich friere in der kalten Briese. Doch dann steigt der Weg steil gen Himmel an. Die Bäume ringsum sind dichter gedrängt und der Boden besteht nun aus Nadeln. In den kalten Hauch mischt sich eine Ahnung von Wärme. Pünktlich zum Sonnenaufgang sind wir oben. Die Sonne wiederzusehen ist jedes Mal eine große Erleichterung, bedeutet neue Kraft und neue Hoffnung. Lässt es auf einmal wieder möglich erscheinen was Minuten vorher noch undenkbar war.
Die Nachmittagssonne steht auf den Hängen. Sehr warm im Unterschied zur ersten Nacht. Die Luft steht und ist schwer und dick. Und doch ist es nicht mehr so intensiv wie im Hochsommer. Die erste Ahnung vom nahenden Herbst liegt in der Luft. Der Waldboden duftet etwas intensiver nach einem schon etwas feuchteren Boden. Die Luft flirrt nicht mehr so extrem wie im Sommer und die Insektendichte nimmt schon merklich ab. Wir laufen schweigend den Trail entlang. Die Sonne steht schon schräger und färbt alles etwas goldener als sie es im Hochsommer tun würde. Ein wenig Wehmut liegt in der Luft. Werden wir den Sommer vermissen? Die langen heißen Tage und Nächte oder freuen wir uns auf den Herbst mit seinen Farben und dem scheinbaren Sterben allen Lebens in Vorbereitung auf den Winter. Alles geht unaufhaltsam seinen Gang. Schon wieder ist ein Sommer rum. Und schon wieder sind wir irgendwo dort draußen. Völlig vertieft in die Natur, ein endloser, scheinbar zielloser Streifzug quer durch die Landschaft. Rastlos und stundenlang unter diesem blauem und endlosen Himmel.
Matthias schaut mir ins Gesicht und sagt: “es ist wirklich gleich geschafft”. Viel der Anstrengung der letzten Stunden muss mir ins Gesicht geschrieben stehen. Absolute Erschöpfung, leichte Schmerzen in verschiedensten Körperteilen und die Überwindung die jeder Schritt kostet. Kurz vor dem Ziel überkommt mich oft ein merkwürdiges Gefühl. Einerseits ein großes Verlangen doch noch aufzugeben gepaart mit dem übermächtigen Wunsch das Ziel doch endlich zu erreichen. Es scheint fast so, als würden diese gemischten und gewaltigen Emotionen mich am Weiterlaufen hindern wollen. Wer bin ich das ich glaube das Recht zu haben dort anzukommen – so winzig, so leidend auf dieser übermächtig langen Strecke. Ich habe schon von echten Wettkämpfern, von guten Läufern gelesen, die sich ähnlich fühlen. In das Verlangen zu finishen mischt sich eine große, fast übermächtige Traurigkeit darüber, dass es vorbei geht. Dort unten kurz vor dem Ziel auf der Brücke über den Fluss könnte man sich auch hinsetzen und gut ist. Warum auch noch die letzten Meter gehen, lieber in Ruhe die Natur genießen und etwas in Ruhe entspannen. Dann ist sie plötzlich da die Brücke und der Moment der Emotionen ist vorbei: natürlich gehen wir weiter, natürlich gehen wir eben um die zwei Ecken und natürlich kommen wir an, lassen uns beglückwünschen und haben es endlich geschafft. Wiederum übermannt von Gefühlen wenn auch anderer Natur.