Zweimal in meinem Leben habe ich den Ort Archea Olymbia im Nordwesten der griechischen Halbinsel Peloponnes besuchen dürfen. 2004 mit unserem 12.-Klass-Jahrgang und 2005 auf einer Interrail Tour. Zweimal habe ich auf dem selben Campingplatz, bewacht von einem uralten schachspielenden Besitzer, eine temporäre Heimat gefunden. Füllten wir diesen Campingplatz 2004 mit der Klasse noch gut aus, hatten wir 4 Interrailer ihn 2005 für uns allein. Ein terassenartiger Hain von schatten- und fruchtspendenen Orangenbäumen. Gerade 2005 ein Ort, an dem die Zeit unter der heißen und trockenen griechischen Sonne einfach stehen blieb. Die Tage mit Orangenpflücken ausgefüllt wurden. Der Hügel direkt hinter dem Grundstück erlaubte in den Abendstunden einen Blick in ein Tal voller Wassersprenger, hinter denen die Sonne immer wieder versank. Ein zauberhafter, meditativer Ort.
Ob es diesen Ort wohl noch gibt? Im Rausch der überaus erfolgreichen EM 2004 waren die Straßen des kleinen Orts Schauplatz größerer Feierlichkeiten und kleinerer Autokorsos. 2005 war der eigentliche verschlafene Zustand wieder hergestellt. Unternimmt man einen Spaziergang zu dem dem Campingplatz gegenüberliegenden Ende von Archea Olymbia hat man die Chance die heilige Stätte zu besuchen, aus der dieser Ort seine Einnahmen generiert. Es ist eine Stätte die eine Zeiteinheit und eine Zeitrechnung hervorgebracht hat (die Olympiade), die nach dieser Zeitrechnung alle 4 Jahre Ort der Entzündung des olympischen Feuers ist und in der in der Antike die wohl bekanntesten sportlichen Wettkämpfe geboren und abgehalten worden. Damals im wahrsten Sinne oft ein Wettkampf um Leben und Tod, in der heutigen Zeit vor allem eine gewaltige Schlacht der Medien. Und doch geht auch von den heutigen olympischen Spielen ein gewisser Zauber für Sportler und Zuschauer aus. Der Geist der Stätte und der Geschichte der Spiele ist zumindest für einige Sportler noch vorhanden. Es bleibt für viele Sportler eine unendlich große Ehre und ein Lebensziel.
2005 hatte ich das Glück den wahren Ort dieses Ursprungs in menschenleerem Zustand besuchen zu dürfen. Die Einfriedung des Stadioneingangs sind noch erhalten, die ehemaligen Tribünen zu erahnen. Es herrschte eine Grabesstille. Dort wo einst der erste olympische Wettkampf, ein Lauf über die Länge des Stadions (192,24 m), stattfand. Ich hab mich für ein paar Momente in die Mitte auf den heißen Boden gesetzt.
Damals noch weit davon entfernt mich näher mit dem Laufen zu beschäftigen, muss ich anhand der Ereignisse im heutigen Sport und meiner Erlebnissen auf den längeren Läufen oft an diesen verschlafenen, geheimnisvollen und zauberhaften Ort zurück denken. Da wird dieses Jahr zum Beispiel ein deutsches Zwillingspaar für einen olympischen Marathon in Brasilien geradezu öffentlich zerfleddert. Die sportliche Berichterstattung heutzutage ist ausschließlich fokussiert auf Bestleistungen. Da sagt der Sieger des diesjährigen Berlin Marathons er sei nicht ganz zufrieden, der Weltrekord hätte es dann doch sein sollen. Dazu Berichte die sich mehrenden Berichte aus dem Hobbysport. Selbst dort ist ein Umgangston und eine Verhaltensweise alltäglich geworden, der stutzig machen sollte. Getreu ihren Vorbildern aus dem Leistungssport, greifen mittlerweile viele Hobbysportler zu leistungssteigernden Mittelchen und getreu dem Trend in unserer Gesellschaft wird sich nichts gegönnt, wird nach unten getreten und ein hässlicher Vergleich der nackten erbrachten Leistungen wird gnadenlos durchgezogen. Das dabei alle verlieren, fällt für den jeweiligen Moment erst einmal nicht groß auf.
Es wäre an der Zeit, dass sich alle wieder zurücknehmen, das Gelassenheit und der Fokus auf die eigene Person und Leistung wieder in den Vordergrund treten. Und vor allem wäre es an der Zeit für Demut. Eine Lektion die das längere Laufen lehrt ist: vor dir selbst kannst du nicht weglaufen. Der eigene Kopf bleibt da und kann ein großer Gegner sein. Unabhängig davon mit welchen legalen wie illegalen Mitteln nachgeholfen wird (jeder, Profi wie Amateur, hat das Recht sich selbst zu betrügen – sicher war es im antiken Griechenland auch ein Festival der leistungssteigernden Substanzen) wäre es eventuell an der Zeit wieder Dankbarkeit und Respekt zu zeigen. Dankbarkeit für die eigene Leistung und Repekt für die Leistung Anderer.
Die ersten fünf Minuten laufen ohne Pause können das Ergebnis unfassbar schwerer Arbeit sein und die Erfüllung eines Traums bedeuten. Zeit das zu würdigen. Die Leistung eines Menschen ist in keinem Fall durch eine Zahl allein zu beschreiben. Höher, schneller, weiter funktioniert nicht so einfach. Jeder Lauf, jeder Wettkampf ist ein neues Spiel mit unterschiedlichsten Variablen. Ob es am Ende gut, den Umständen angemessen, oder nicht so gut war, kann nur jeder für sich allein festlegen. Und alle drum herum sollten sich da nicht einmischen. Es gilt für jede Distanz – auf den langen Distanzen wird es aber noch einmal deutlicher sichtbar. Egal ob 100 m, 10000 m, 100 km oder länger – als Außenstehender wissen wir nicht, gegen was für Dämonen des Alltags unser Nebenmann gerade kämpft. Vielleicht ist der Kopf schwer, weil das Leben nicht läuft wie es soll, vielleicht ist das Herz voll Trauer weil jemand fehlt oder gegangen ist, vielleicht ist der Stress zu groß gewesen in der letzten Zeit und der Kopf nicht bereit. All das ist nicht zu sehen. Über all das verbietet es sich zu richten. Vielleicht war auch der Druck zu hoch, die Aufregung zu groß, die eigene Erwartung oder die des Trainers hat gelähmt, der Schmerz der überstanden geglaubten Verletzung auf einmal wieder da, die Beine und der Kopf noch so furchtbar leer von vergangenen Leistungen… Es sind unendlich viele Dinge die relevant sein können.
Am Ende steht ein Ergebnis. Seien es ein paar Schritte oder ein Weltrekord. Zeit dankbar zu sein. Dafür das es dafür gereicht hat. Mit etwas Demut den eigenen Weg zu betrachten und alle Faktoren, die für die Leistung eine Rolle gespielt haben zu berücksichtigen. Am Ende dieser Reflektion steht man oft mit der Erkenntnis da: Ich habe genau das erreicht was meiner momentanen Situation und meiner Geschichte entspricht. Da es dem Nebenmann genau so geht, hilft ein: gut gemacht – sei stolz auf dich. Wenn das Ergebnis des Nebenmanns offensichtlich weit dessen Ziele verfehlt hat, hilft kein Hohn und Spott und kein abfälliger, selbstaufwertender Vergleich – Respekt und Trost wären angebrachter.
Laufen und Sport generell sollte ein Ausdruck persönlicher Freiheit und eine Demonstration des persönlichen Willens sein. Der Leistungsdruck und der gesellschaftliche/öffentliche Druck zerstören dieses so wertvolle Konstrukt.
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